Herr Paul

Richstein, Rike
Rike Richstein, geboren 1995, studiert Geschichte und Verwaltungswissenschaften in Tübingen und Konstanz. Dies ist ihr erstes Buch.

Herr Paul fährt jeden Tag 96 Minuten mit dem Zug. 48 Minuten von der kleinen Stadt, in der er lebt, in die kleine Stadt, in der er arbeitet. Er tut dies seit 25 Jahren, an nicht ganz 365 Tagen im Jahr, denn die Urlaubs-, Feier- und Wochenendtage muss man ja abziehen. Trotzdem - das hat Herr Paul zu seinem fünfundzwanzigjährigen Dienstjubiläum ausgerechnet, in seinem kleinen, regenwolkengrauen Notizbuch, in das er mit akkurater Schrift schreibt - kommt er bestimmt schon auf 540.000 Minuten Zugfahrt in seinem Leben. Vielleicht sogar noch mehr. Bestimmt noch mehr.

Herr Paul führt ein normales Leben. Vielleicht sogar ein langweiliges. Aber eines Tages beginnt er, genauer hinzusehen.
Er begegnet Menschen und Geschichten, Treppen, die nur in eine Richtung gehen, sieht einen Himmel aus Zinn und die verschiedenen Blautöne des Lebens und stellt sich Fragen, die wir uns alle einmal stellen sollten.

Die Geschichte von Herrn Paul wird mit beeindruckender literarischer Kraft und größtem Respekt vor dem Protagonisten erzählt, fast mit einer scheuen Zurückhaltung, hinter der eine unermessliche Sympathie und ein tiefes Mitfühlen mit einem Menschenkind steht, dargeboten mit einer ganz feinen Ironie, mit viel Sinn für skurrile Details, auch für das poetische Bild. Die Mittel des Protagonisten wirken rührend hilflos, doch er ist auch ein kleiner Rebell des Alltags. Das Entscheidende aber: Er erlebt Momente des Mutes, des Mutes, wenigstens einen kurzen Blick in den Spiegel zu werfen und Fragen an sich zu stellen. Dem Leser bleibt der Gedanke nicht erspart: Wie viel Herr Paul steckt in mir? Habe ich diesen Mut?