Der auf eine Tagung von 1998 in Halle zurückgehende Band versucht, das Verhältnis des Christian Thomasius (1655-1733) zu Literatur und Gelehrtenkultur mit Hilfe von Pierre Bourdieus Theorie des 'literarischen' bzw. des 'intellektuellen Feldes' zu untersuchen. Im Fragehorizont des Feldbegriffs als einer mehr oder weniger expliziten, blicklenkenden Heuristik wird nach dem literarisch-kulturellen Wissen, den ästhetischen und poetologischen Konzepten und Leitbildern und der 'Ökonomie der Praxis' des Thomasius als Gelehrter, Satiriker, Kritiker gefragt sowie nach den Impulsen, die er seinerseits der Umgebung mitteilt. Schließlich geht es um die Feldstrukturen selbst, in denen er und seine Bezugsautoren agieren, lokal in Leipzig und Halle sowie überregional über die Printmedien vermittelt.
Prädestiniert durch ihre Geschichte - als Zentrum der deutschen Frühaufklärung mit europäischer Wirkung und als einer der Impulsgeber der anthropologischen Wende - gründete die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1993 das Interdisziplinäre Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA). Bisherige und gegenwärtige Forschungsschwerpunkte des IZEA umfassen die aufklärerische Anthropologie, die Aufklärung im Bezugsfeld frühneuzeitlicher Esoterik, Universitätsgeschichte, den Philanthropismus und das Gartenreich Dessau-Wörlitz, neuere Akzente liegen auf der Frühaufklärung als Experimentierfeld und der Begründung von Kulturmustern für die Moderne.
Die Ergebnisse dieser Forschungen erscheinen seit Herbst 1995 in der wissenschaftlichen Reihe des IZEA unter dem Titel »Hallesche Beiträge
zur Europäischen Aufklärung«. Hinzu kommen qualifizierte Arbeiten, die
extern entstanden sind. Pro Jahr erscheinen zwei bis vier Bände (Monographien, Sammelbände, Quellenkommentare).
Inhalt: Herbert Jaumann, Thomasius im literarischen Feld. Einführung. - Eric Achermann, Substanz und Nichts. Überlegungen zu Baltasar Gracián und Christian Thomasius. - Manfred Beetz, Konversationskultur und Gesprächsregie in den »Monatsgesprächen«. - Volker Kapp, Barbon und Tartuffe. Thomasius und die französische Literatur. - Klaus-Gert Lutterbeck, Das >decorum Thomasii< als Faktor sozialer Kohäsion oder: Systematische Strukturen im Denken eines Eklektikers. - Martin Mulsow, Literarisches Feld und philosophisches Feld im Thomasius-Kreis: Einsätze, Verschleierungen, Umbesetzungen. - Dirk Niefanger, Über »Speisen« und »Artzeneyen«. Ansätze einer kulinarischen Literaturtheorie in der Lohenstein-Kritik von Christian Thomasius. - Sandra Pott, »Le Bayle de l'Allemagne«: Christian Thomasius und der europäische Refuge. Konfessionstoleranz in der wechselseitigen Rezeption für ein kritisches Bewahren der Tradition(en). - Merio Scattola/Friedrich Vollhardt, >Historia litteraria< Geschichte und Kritik. Das Projekt der »Cautelen« im literarischen Feld. - Peter Schröder, >Laster< und >Tugend< bei Bernard de Mandeville (1670--1733) und Christian Thomasius (1655--1728). - Winfried Schröder, Quo ruitis? oder: Christian Thomasius und die Risiken der Aufklärung. - Frank Grunert, Bibliographie der Thomasius-Literatur 1998--2001.